Aufstieg zum höchsten Berg Japans
Bergsteigen und
Bergwandern,
eine unserer liebsten Freizeitbeschäftigungen, hat uns schon in
viele
Regionen der Erde in Europa, Asien und Amerika geführt. Manchmal
waren
wir als Bergsteigergruppe des Sportvereins, mit Freunden oder auch
privat
mit der Familie unterwegs. Neben dem eigentlichen Genuß des
„Gipfelglückes“
und dem Aufenthalt in der Natur bringen Bergtouren in entfernte
Gegenden
der Welt den weiteren Vorteil, andere Länder und Kulturen
ein
wenig kennen zu lernen. Die bäuerlichen Landschaften, die
Städte,
die kulturellen Sehenswürdigkeiten, ja selbst die profanen Dinge
von
der Speisekarte bis zur Toilette sind interessant und sehenswert. Nicht
weniger beeindruckend ist die Begegnung mit den Menschen, die uns
einerseits
so fremd und doch wieder so verwandt anmuten.
Diesen
Sommer
hatten wir, dh. meine Frau Hella, unsere Tochter Elisabeth und ich, uns
einen der berühmtesten Berge der Welt, nämlich den Fuji –
san,
in dem für uns recht ungewohnten Land Japan vorgenommen. Neben der
Besteigung des Fuji wollten wir noch einen Streifzug durch das
Inselland
per Bahn und Jugendherbergen machen. Schon der Aufenthalt in
irgendeinem
Ort Japans ohne dieses Bergziel wäre spannend genug, um einen
längeren
Erlebnisbericht zu füllen. In
Deutschland
wird der höchste Landesberg meist mit Fudschiyama(yama-Berg)
bezeichnet in Japan nennt man ihn Fuji-san. Rein
alpinistisch gesehen, ist der Fuji ein unspektakulärer Berg,
außerdem
der am meisten bestiegene Gipfel der Welt (mit einer Höhe von
Bedeutung).
Jeder, der laufen und steigen kann, kann den Gipfel erreichen.
Lediglich,
wie bei allen Bergen dieser Größenordnung, treten in
Höhen
von fast 4000 m gelegentlich leichte Höhenbeschwerden auf. Die
Vorbereitung
auf die Besteigung war deshalb vor allem organisatorischer Art, weil
notwendige
Informationen über Anfahrt, Aufstieg und Unterkunft nicht ohne
weiteres
in deutsch zu haben sind. Selbst mit Englisch erreicht man nicht alles,
ein paar Japanischkenntnisse waren dabei schon hilfreich.
Außerdem
fand ich einige nützliche Informationen im Internet.
Zum Gipfel des Fuji führen
insgesamt
fünf verschieden Routen. Die klassische Route führt, aus
Richtung
Tokyo kommend, von Kawaguchiko (Region der fünf Seen) und der
Station
go-go-me hinauf. Diese Gegend ist historisch bekannt auch durch die
neunundvierzig
Fuji - Ansichten des Malers Hokusei. Wir hatten schon beim Landeanflug
auf Tokyo - Narita vom Flugzeug aus den ersten Blickkontakt zum Fuji.
Danach
sahen wir ihn nochmals beim „Vorbeirauschen“ aus dem Shinkansen -
Expreß
und später schimmerte er uns wieder verlockend von einem Badeort
an
der Küste der Halbinsel Izu übers Meer herüber - und
jedesmal
waren wir von seinem Anblick fasziniert.
Wir näherten uns jedoch dem Fuji
mit dem Shinkansen – Superexpress aus Richtung Osaka / Kyoto, und
somit bot sich der Aufstieg von der Meeresseite an. Wir stiegen dann in
der Station Fuji auf einen Regionalzug um und hielten uns noch einen
Tag
in der Stadt Fujinomiya auf. Von dort konnten wir den Berg aus
nächster
Nähe bewundern. Am meisten besticht seine Ästhetik aber von
weitem,
besonders seine gleichmäßige etwas leicht asymmetrische
Kegelform.
In der Stadt Fujinomya war
trotz
des günstigen Ausgangsorts zum Berg eigentlich recht wenig vom
Tourismus
oder vom Bergsteigerstrom zu sehen. Es gelang mir z.B. nur sehr
mühsam,
überhaupt eine Ansichtskarte aufzutreiben. Wenn man sich dagegen
Garmisch
oder Berchtesgaden vorstellt, ist man etwas erstaunt.
Am Morgen des 2. August standen wir am
Busplatz der Stadt und warteten zusammen mit einigen wenigen Japanern
in
Wanderkleidung auf den Bus, der uns an den Ausgangspunkt unseres
Fußmarsches
zur Station Shin-go-go-me in 90 minütiger Fahrt bringen sollte.
Als
Gepäck führten wir zu dritt lediglich einen Rucksack mit
etwas
Kleidung und Proviant und große Getränkeflaschen mit uns. Im
Bus während der Fahrt wurde im eingebauten Fernseher ein Video
abgespielt,
der über Verhaltensweisen am Berg informierte (natürlich auf
japanisch).
An der Ausgangsstation in einer
Höhe
von 2400 m kam der Bus schon nicht mehr so recht vorwärts, weil
lange
Schlangen von geparkten Autos den Weg einengten. Die Ausgangshöhe
ist gleichzeitig die Baumgrenze. Man konnte bis zum Gipfel hinaufsehen
und wie immer in den Bergen, dachte man, der Gipfel wäre schon zum
Greifen nahe. Trotzdem trennten uns noch mehrere Stunden
Fußmarsch,
angegeben mit 4 – 5 Stunden. Da wir aber gemeinsam mit unserer 10 -
jährigen
Tochter gehen wollten, rechneten wir für uns mit der doppelten
Zeit.
Es führt ein nicht zu verfehlender Weg in Serpentinen nach oben,
der
von der Talebene bis zum Fuji-Gipel durch 10 Stationen unterbrochen
wird.
(Die Station Shin-go-go-me ist bereits die fünfte Station.) Diese
Stationen sind meist kleine Rast – oder Berghütten, wo man etwas
zu
sich nehmen kann und auch, aber nicht in allen, übernachten kann.
Es war 10 Uhr, als wir losgingen, und
es war ausgezeichnetes Wetter. Der Weguntergrund besteht im
wesentlichen
aus lockerem, schwarzen Vulkangestein und eben solchem Staub. An den
Seiten
sind Begrenzungsseile gespannt.
Eine Besonderheit der Fuji - Besteigung
im Vergleich zu jedem anderen Bergaufstieg in der Welt ist die
Personenzahl,
die gleichzeitig dasselbe Ziel hat. Es ist eine wahre Massenprozession,
hinauf wie hinunter. Eine unermeßlich große Anzahl von
Bergsteigern
und Bergwanderern, aber wohl auch vom Shintoismus, der japanischen
Ahnen-
und Naturreligion, motivierten Menschen strebt in langen Reihen dem
Gipfel
entgegen, denn am Gipfelkrater befindet sich ein Schrein mit einem
Torii,
also ein Heiligtum der japanischen Ahnenreligion. Es heißt,
daß
pro Jahr etwa 1 Million Japaner den Fuji erklimmen, und fast alle in
den
zwei zulässigen Sommermonaten vom 1. Juli bis zum 31. August.
Während unseres Aufstiegs
waren wir also nicht allein, es gingen viele mit uns, und viele kamen
wieder
von oben herab, so daß man beim Gehen ab und zu beiseite treten
mußte,
um Leute vorbei zu lassen. An engen Stellen gab es sogar kleinere
Staus,
die aber durch die außerordentliche Höflichkeit der Japaner
nie zum Problem wurden. Wir begegneten den verschiedenartigsten
Menschen:
Leuten mit Nummern auf der Kleidung, wahrscheinlich Mitglieder
größerer
Gruppen, einem uralten weißhaarigen bärtigen Mann, der sich
wohl täglich nur von Station zu Station weiterarbeitete, oder
Schwarzhäutige
mit japanischen Fahnen in der Hand. Einmal begegneten wir einem Mann,
der
seinen Hund, einen Collie, geschultert hatte, sicher um dessen
strapazierte
Pfoten zu schonen. Viele Aufsteigende hatten sich einen hölzernen
langen sechskantigen Wanderstock gekauft, um darauf bei den verschieden
Bergstationen unterwegs Brandstempel zu sammeln. Meist waren kleine
Schellen
an diesen Stöcken befestigt, die dann unterwegs an einem Torii
oder
am Gipfel nebst kleinen Münzen gespendet bzw. geopfert wurden.
Am Berg gibt es keine Weiden oder
Almen,
eigentlich überhaupt kein Gras. In den unteren Regionen findet man
noch ein grünes Kraut, weiter oben ist alles nur noch schwarzes,
poröses
Material, zum Gipfel hin ins rötliche gehend.
Wie geplant, erreichten wir am
späten
Nachmittag den Gipfelbereich, es trennten uns vom Gipfel selbst nur
noch
150 Höhenmeter. An der 9. Station baten wir um ei-nen Liegeplatz
in
der Hütte und, da wir früh aufgebrochen waren, erhielten wir
auch drei Plätze. Etwas später Kommende mußten
teilweise
draußen nächtigen. Ein Quartier in dieser Höhe ist
nicht
ganz billig. Man verlangt umgerechnet ca.100 DM pro Person im
Massenquartier
nach Landessitte auf Tatamis (Reisstrohmatten) über dem
Holzfußboden,
mit Steppdecke und kleinem, weiß bezogenem, hartem Kopfkissen,
doch
dem müden Wanderer ist alles recht. Um uns als Ausländer und
Deutsche, speziell wohl auch wegen unserer kleinen Tochter,
kümmerten
sich die Schlafnach-barn besonders, indem sie uns verschiedene
exotische
Proviantstücke und Wärmebeutel schenkten.
Von der 9. Station hatte man bei
Abendsonne
eine hervorragende Aussicht. Durch leicht mit Wolken versetzte klare
Luft
konnte man weit über die Insel, Küstenbereiche und das Meer
sehen.
Die Temperatur war nun erträglich und sank schnell ab. Kurz vor
Sonnenuntergang
sah man den Fuji nochmals als beeindruckendes, weit in die
östliche
Ebene geworfenes Schattenbild. Als die Nacht dann hereinbrach, schauten
wir noch einmal hinunter ins Land und sahen in der Ebene ein einziges
großes
Lichtermeer. Besonders hell leuchteten Stadteile von Tokyo herauf, die
am östlichen Rand des Kegels noch zu sehen waren. Die Temperatur,
die unten im Land kaum unter 30° sank, lag jetzt hier bei wenigen
Grad
über Null. Die nur für diesen Zweck mitgebrachten warmen
Sachen
waren nun recht angenehm und nützlich.
Nachts um drei wurden alle Schlafenden geweckt.
Aufbruch.
Nach kurzem Frühstück ging es hinaus in die kalte Luft und
was
wir nun sahen, war kaum zu glauben:
Ein riesiger Menschenstrom mit Stirn- und Taschenlampen floss
förmlich
wie Lava den Berg hinauf. Ich habe noch nicht erwähnt, dass im
Land
der aufgehenden Sonne eines der höchsten Natur- und wahrscheinlich
auch religiösen Erlebnisse der Sonnenaufgang auf dem Fuji – san
ist.
Auch wir beeilten uns mit den Japanern,
rechtzeitig hinauf zu gelangen und kamen auch pünktlich an. Eine
Höhe
von 3776 m war erreicht. Hunderte von Leuten standen und schauten
ehrfurchtsvoll
an den roten Horizont. Als die Sonne dann erschien, fo-tografierten
alle
gleichzeitig, die Sonne und sich gegeneinander. Ein Priester des
Gipfelschreins
schlug mit großer Würde einen Gong an, und die Landesflagge
mit dem roten Punkt auf weißer Fläche wurde gehißt
(,wobei
aber niemand stramm stand). Vor dem Shinto - Schrein auf dem
Gipfel
ließen wir uns auch aufs Foto bannen. Ich selbst lief noch eine
halbe
Stunde um den Gipfelkrater, worin es aber nicht mehr brodelt, der
Vulkan
war das letzte mal 1707 aktiv. Wir genossen noch eine wenig die
phantastische
Weitsicht über die Kanto - Ebene und Küste des pazifischen
Ozeans,
bevor wir gemächlich wieder abstiegen, nun entgegen dem Strom der
Aufsteigenden, und uns in der Mittagsglut wiederfanden. Der Fuji – san
stand mit einem weißen Wolkenring umgeben, ungerührt der
vielen
ihn bekrabbelnden Ameisen.
Hella und Edgar Nönnig, Oktober 1999